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Exercise course: Introduction to population biology (course in modeling) (02173)
WS 2002/2003 nach Vereinbarung/BITÖK
Bernhard Stadler
Populationsökologie
Gegenstand der Vorlesung/Übung:
... all models are
wrong, some are useful
W. E. Deming (1986)
Analytische Modelle sind in der Ökologie
ein Werkzeug, um das Ergebnis und die möglichen Mechanismen in biologischen
Interaktionen zu untersuchen. Ein klassisches Dilemma für analytische
Populationsmodelle ist die Wahl zwischen einfachen strategischen Ansätzen,
die allgemein gehalten sind, aber sehr schwer mir realen Systemen zu überprüfen
sind und komplexen Modellen, die für spezifische Situationen angepaßt
sind und dadurch an Allgemeingültigkeit verlieren. In dieser Vorlesung
und Übung geht es um einfache, konzeptionelle Modelle und um ein Verständnis
der funktionellen Beziehungen zwischen interagierenden Populationen.
Die "Kunst" des Modellierens wird also sein 1)
zu abstrahieren und sich auf die (vermeindlich) wichtigen Komponenten eines
realen Systems zu konzentrieren und 2) zu interpretieren, also Modellkomponenten
und Modellverhalten einem wirklichen System zuzuordnen. Mit diesem Verständnis
können Modelle dazu beitragen um z.B. existierendes Wissen zu ordnen,
Muster zu finden, Vorstellungen über die Bedeutung von Parameter zu
konkretisieren (Gedankenexperimente), neue überprüfbare Hypothesen
zu erzeugen, oder Prozesse zu studieren, die auf sehr großen räumlichen
und zeitlichen Skalen ablaufen.
Wir beschäftigen uns mit den Annahmen und
dem Verhalten von einfachen Populationsmodellen (und ihren Varianten),
die in ihrer Bedeutung bis heute nichts verloren haben (z.B. exponentielles
Wachstum, logistisches Wachstum, Dynamik von Wirt-Parasitoid-Systemen (Thompson-Modell,
Nicholson-Bailey Modell, Hassell-Varley-Modell), Räuber-Beute-Beziehungen (Lotka-Volterra-Modelle), Chaos etc.).
Zur praktischen Durchführung benutzen wir
vorbereitete Modelle, die mit der Software Stella®
(High Performance Systems) erstellt
wurden, und keine Programmierkenntnisse erforderlich machen. Die Modelle
sind flexible genug, um sie in verschiedene Richtungen selbst verändern
zu können. Die Programmsymbole können schnell erlernt werden,
und sollten eine schnellere Einsicht in die Struktur und Dynamik eines
Modells ermöglichen, als dies oftmals aus den Formeln ersichtbar wird.
Populationsmodelle, die im Kurs besprochen
werden: (Formeln.pdf)
(Modellannahmen)
Kurs
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Beschreibung
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Modell
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°
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Einfache Wachstumsmodelle (Exponentielles Wachstum,
dichteabhängiges r, logistisches Wachstum, logistisches Wachstum
mit Zeitverzögerung, Zeitverzögerung und saisonal schwankendes
K
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Exponential growth
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°
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Deterministisches Chaos (3 mögliche Formeln)
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Chaos
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°
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Thomson Grundmodell ohne Kapazitätsgrenzen
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Thompson
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°
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Thompson-Modell mit Kapazitätsgrenze des Wirtes
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Thompson2
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°
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Nicholson-Bailey Grundmodell
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N&B1
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°
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Nicholson-Bailey Modell mit dichteabhängigen Beutewachstum
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N&B2
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°
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Nicholson-Bailey mit funktionellen Reaktionen (TypI-III)
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N&B3 Holling
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°
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Non-random search (May1978)
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Non-rand
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°
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Interferenz-Modell (Hassell & Varley 1969)
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Interferenz
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°
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Beddington-Interferenzmodell
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Beddington
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°
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Konkurrierende Räuber (May & Hassell 1981)
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Konk Räuber
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°
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Wirt-Parasitoid-Hyperparasitoid-Systeme
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3-troph
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°
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Lotka-Volterra Räuber-Beute Grundmodell
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LotkaVolterra1
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°
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Lotka-Volterra Räuber-Beutemodell mit logistischem
Wachstum
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LotkaVolterra2
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°
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Lotka-Volterra Räuber-Beutemodell mit funktioneller
Reaktion (Typ II)
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LotkaVolterra3
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°
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Lotka-Volterra Konkurrenz um Ressourcen
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Competition
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Die
Modelle wurden mit der Software Stella®
(High Performance Systems) erstellt.
Eine
runtime-Version kann von hier
bezogen werden. Die Modelle können von
mir
zur Verfügung gestellt
werden.
Exponential growth - Modelle
Exponentielles Populationswachstum kommt zwar vermutlich nur während
kurzer Phasen, vor in denen die Ressourcen unbegrenzt sind, allerdings scheinen
trotzdem Gesetzmäßigkeiten vorzuliegen, die es sinnvoll erscheinen
lassen sich mit diesen einfachen "Ein-Art-Modellen" zu beschäftigen.
P. Turchin (2001) erhebt das exponentielle Wachstum sogar zu einem Gesetz
der Populationsdynamik.
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In der Anfangsphase zeigen
alle diese Modelle einen exponentiellen Anstieg. Durch die Einführung
einer Kapazitätsgrenze (entspricht Ressourcenlimitierung) wächst
die Population mit zunehmend langsameren Raten, bis die Kapazitätsgrenze
asymptotisch erreicht wird.
Zeitverzögerungseffekte wirken sich im kontinuierlichen logistischen
Modell "destabilisierend" aus, d.h. die Populationen beginnen um den K-Wert
zu schwanken. Zeitverzögerungseffekte kommen z.B. dadurch zustande,
daß Entwicklungsprozesse der Individuen sich auf die Populationsdichteregulation
auswirken. Die aktuelle Populationsdichte zum Zeitpunkt t (N
t) hängt also von einer bestimmten Dichte zum Zeitpunkt
t-tau (Nt-tau) ab. Das Verhalten der Wachstumskurven
wird damit im wesentlichen von zwei Faktoren bestimmt:
1) von der Länge der Zeitverzögerung
2) von der Reaktionszeit, die invers proportional zu r ist. (Populationen
mit hohen Wachstumsraten (r) haben kurze Reaktionszeiten (1/r
). Damit bestimmt das Verhältnis der Zeitverzögerung zur Reaktionszeit
das Verhalten dieser Populationen.
Obwohl die Logistische Gleichung oft wegen ihrer zu großen
Vereinfachung kritisiert wird, ist sie nach wie vor von zentraler Bedeutung
für Ein-Art-Populationsmodelle.
Zahlreiche weitere Modifikationen können mit den Modellen vorgenommen
werden (z.B. Zeitverzögerungseffekte).
Turchin P. (2001) Does population ecology have general laws? Oikos
94: 17-26.
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Chaos in Ein-Arten Populationsmodellen
Zeitverzögerungseffekte treten auch
in den diskreten Versionen der logistischen Gleichung auf. Diskrete
Populationsmodelle haben eine "eingebaute Zeitverzögerung" von 1.0.
Damit hängt das Verhalten des Populationswachstums nur noch von der
Wachstumsrate r ab. In Abhängigkeit von der Größe
des Wertes r kann sich eine Population entweder langsam der
Kapazitätsgrenze nähern, gedämpfte Oszillationen oder
stabile Grenzzyklen eingehen, oder in komplexe, sich nicht wiederholende
chaotische Muster umspringen.
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Einfache mathematische Modelle können also sehr komplexe Verhaltensweisen
erzeugen. Das interessante am Chaos ist das augenscheinlich völlig
zufällige fluktuieren der Populationsgrößen. Diese werden
von einem Modell erzeugt, das offenbar völlig deterministisch ist.
In der Tat kann der Verlauf einer chaotischen Population so komplex
sein, daß er beispielsweise nicht von einer stochastischen Populationsgrößenfluktuation
unterschieden werden könnte. Wie häufig chaotische Populationsfluktuationen
in der Natur sind ist unklar.
Populationsbiologen waren mit die ersten, die erkannten,
daß einfache, diskrete Gleichungen sehr komplexe Muster erzeugen
können.
Literatur:
May R. (1974) Biological Populations with nonoverlapping generations: stable points, stable
cycles, and chaos. Science 186: 645-647.
May R. (1976) Simple mathematical models with very complicated dynamics.
Nature 261: 459-467.
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Thompson Modelle
William Thompson (1887-1972) war im Bereich der biologischen
Schädlingsbekämpfung tätig und betrachtete zunächst
mathematische Modelle zur Erzeugung neuer Hypothesen als durchaus nützlich.
Um 1920 entwickelte er einfache mathematische Funktionen, um die Beziehung
zwischen Wirten und Parasiten zu beschreiben.
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Sein Ausgangspunkt war einen Beziehungszusammenhang zwischen
der Anzahl an Wirten in jeder Generation und den verschiedenen Faktoren,
die die Populationswachstumsraten von Wirten und Parasiten bestimmen,
zu finden (z.B. Vermehrungsraten von Wirten und Parasitoiden, Anzahl
an Eier, die von einem Parasiten in einen Wirt gelegt werden). Die
enge mathematische Kopplung von Wirten und Parasitoiden führte
allerdings dazu, daß die Parasitenpopulation sehr schnell an
Größe zunahm und regelmäßig die Wirte zum aussterben
brachte. Obwohl also die Voraussagen der Modelle von Thompson kaum
der Wirklichkeit entsprachen, markierten sie doch den Beginn einer
stärker auf Theorien basierenden mathematischen Ökologie.
Interessanterweise wurde Thompson gegen Ende der 30iger Jahre zu einem
der stärksten Kritiker einer mathematisch orientierten Denkweise
in der Ökologie, also entgegen den Trend, dem er selbst den Weg
ebnete. Er fürchtete, daß durch die ungenaue Abbildung der
biologischen Einzelheiten kein wirklicher Nutzen für die praktischen
Probleme, z.B. in der biologischen Schädlingsbekämpfung abfiel.
Literatur:
Kingsland S.E. (1995) Modeling nature. University of Chicago Press,
USA
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Nicholson-Bailey-Modelle
Der Australier Alexander John Nicholson (1895-1969) gilt als der
wichtigste Vertreter der Ansicht, daß dichteabhängige, biotische
Faktoren die wichtigsten Triebkräfte für die Bestimmung der
Populationsgröße seien. Er unterstellte, daß die Wirtssuche
der Parasiten dem Zufallsprinzip folgt, und daß die Parasitoide
nicht durch ihren Eivorrat begrenzt sind. Vielmehr ist ihre Fähigkeit
Wirte zu finden der begrenzende Faktor.
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Zwei Annahmen
sind wichtig:
1)
Die Rate der Wirtsfindung durch Parasitoide ist proportional zur Wirtsdichte
(sie folgt einem Poissonprozeß=zufällige Suche nach Wirten).
2)
Das durchschnittliche Areal, das ein Parasitoid absuchen kann, ist
ein charakteristisches Merkmal einer Art und sie ist konstant. Diese
Fläche wird als „area of discovery“ (a) bezeichnet. Man
kann a auch als ein Maß für die Sucheffizienz eines
Parasitoiden betrachten.
Nicholson
war also der erste, der das Konzept der Suche in die theoretische Ökologie
einführte. Das Modell von Nicholson und Bailey (1935) ist im Prinzip
nur eine einfache Erweiterung des Thompson-Modells, indem die area
of discovery (a) die Beziehung zwischen der Eizahl (c
) und der Wirtsdichte (N) wiedergibt (a=c/N).
Das Nicholson-Bailey Modell ist ein Grundmodell, das in vielen Richtungen
erweitert wurde.
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Nicholson &
Bailey mit funktionellen Reaktionen
Holling (1959) untersuchte v.a. Kleinsäuger
und ihr Beutesuchverhalten z.B. gegenüber Blattwespen. Er fand,
daß die Prädationsraten mit zunehmender Beutedichte anstiegen.
Dies beruhte auf zwei Effekten:
1) jeder Prädator erhöhte bei einer
höheren Beutedichte seine Freßrate
2) die Räuberdichte stieg mit zunehmender
Beutedichte
Holling
betrachtete dies als zwei unterschiedliche Effekte der Räuberpopulation
gegenüber der Beute. Die Erhöhung der Komsumptionsrate bezeichnete
er als funktionelle Reaktion, die Steigerung der Räuberdichte
als numerische Reaktion.
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Ein Prädator muß nach dieser Vorstellung
eine gewisse Zeit aufwenden, um nach Beute zu suchen (
Ts), zu jagen, zu töten und zu fressen (
Th). Die Handhabungszeit ist der limitierende Faktor in diesen
Modell, da selbst dann, wenn die Beutedichte so hoch ist, daß
Ts=0, immer noch Zeit für
Th aufgewendet werden muß. Die Fläche, die abgesucht
wird, ist die „area of discovery“; man kann darunter aber auch die
Suchrate verstehen.
Holling schlug drei Typen von funktionellen
Reaktionen vor:
Typ I:
Hier steigt die funktionelle Reaktion linear mit der Beutedichte an
(die Steigung der Geraden entspricht der Sucheffizienz). Bei hohen
Beutedichten wird abrupt ein Plateau erreicht, d.h. die maximale Angriffsrate
bleibt bei weiter steigenden Beutedichten konstant. Typ I Funktionen
zeigen sich bei passiven Prädatoren, z.B. Spinnen. Die Anzahl
Insekten, die im Netz gefangener werden können, steigt proportional
mit der Insektendichte, bis zu einem Grenzwert, der durch die Größe
des Netzes bestimmt sein könnte. Folglich ist die Beutemortalität
aufgrund von Prädation konstant.
Typ
II: Hier steigt die funktionelle Reaktion zunächst schnell
an und erreicht dann aber bei weiter steigender Beutedichte ein Plateau.
Räuber verursachen also eine hohe Mortalität bei niedrigen
Beutepopulationsdichten, aber bei hohen Beutepopulationsdichten ist
die Mortalität durch Räuber eine nahezu vernachlässigbare
Größe. Folglich geht die Beutemortalität mit zunehmender
Beutedichte zurück.
Typ III:
Diese Form der funktionellen Reaktion tritt bei Prädatoren auf, die
ihre Suchaktivität mit zunehmender Beutedichte erhöhen. Zum
Beispiel können viele Prädatoren auf Kairomone reagieren
und ihre Aktivität erhöhen. Vögel können durch
lernen ihr visuelles Suchverhalten auf die häufigste Beute umstellen
und so die Beutepopulation stärker beeinflussen. Die Mortalität
der Beute steigt hier zunächst mit zunehmender Beutedichte an,
geht dann aber wieder zurück.
Das
Nicholson-Bailey-Modell kann z.B. mit diesen funktionellen Reaktionstermen
erweitert werden.
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Lotka-Volterra-Modelle
Lotka-Volterra Modelle gehören
zu den „Klassikern“ in der Populationsökologie. Das Räuber-Beute
Modell folgt in seinem Verständnis dabei eher chemischen Umsetzungsreaktionen
in denen die Umsetzungsraten proportional zur Konzentrationen der Moleküle
sind. Auf Tiere übertragen bedeutet dies: wenn sich Räuber
und Beute zufällig im Raum bewegen, dann wird ihre Begegnungsrate
proportional zum Produkt ihrer Abundanzen (Biomassen) sein.
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Wichtige
Annahmen waren ferner:
·
Das Wachstum der Beutepopulation wird nur von den Räubern limitiert.
·
Der Räuber ist ein Spezialist, der nur von einer Beuteart lebt.
·
Einzelne Räuber können eine unbegrenzte Zahl an Beute konsumieren
und jeder Räuber
kann seinen Beutekonsum mit zunehmender Beutedichte steigern
(z.B. Typ I funktionelle
Reaktion).
·
Einzelne Räuber begegnen sich zufällig in einer homogenen
Umwelt.
Diese Annahmen
sind natürlich ziemlich unrealistisch und führten schließlich
in die Sackgasse. Vor allem die Anwendung von Prinzipien, wie sie für
chemische Reaktionen gültig sind (weg von „logistischen
Sichtweisen“), scheinen dafür verantwortlich gewesen zu sein.
Einige
Modifikationen des Räuber-Beute Grundmodells werden aber vorgestellt.
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