Ein Blick auf die Grundwasserfauna von München: Ein aufgeheiztes Ökosystem?

Julia Becher1, Christian Griebler2, Kai Zosseder3, Peter Bayer1
1 Martin Luther Universität Halle, Angewandte Geologie
2 Univeristät Wien, Funktionelle und Evolutionäre Ökologie
3 Technische Universität München,Geothermal Energy

V 16.3 in Freie Themen

23.03.2022, 10:45-11:00, HS 1

Echte Grundwasserfauna, sog. Stygobionten, verbringen ihren gesamten Lebenszyklus im Untergrund. Sie sind angepasst an die permanente Dunkelheit, an relativ stabile Temperaturen und nährstoffarme Bedingungen im Grundwasser, was sich u.a. in langsamen Stoffwechselvorgängen und langen Lebenszyklen widerspiegelt. Diese hohe Spezialisierung der Tiere an ihren unterirdischen Lebensraum lässt vermuten, dass sie sehr sensibel auf anthropogen verursachte Habitatsveränderungen wie Temperaturerhöhungen reagieren.

Grundwasserökosysteme sind generell nur schwachen Temperaturschwankungen ausgesetzt und vor allem durch kalt-stenotherme Invertebraten und psychrophile bis mesophile Mikroorganismen besiedelt. Die Auswirkungen der Grundwassererwärmung durch Klimawandel und städtische Faktoren auf die Stygobionten und die Biodiversität sind bis jetzt nur spärlich untersucht und in großem Maße unbekannt. Urbane Wärmeinseln im Untergrund, die v.a. durch Landnutzungsänderungen, Wärmeabgabe von Kellern und Untergrundstrukturen sowie geothermischer Nutzung entstehen, wurden bereits in vielen Städten weltweit beobachtet und beschrieben. Dabei sind flache Grundwassertemperaturen unter dicht besiedelten und älteren urbanen Regionen (z. B. Stadtzentren) oft mehrere Grad höher als in ungestörten Gebieten. Dies ist auch in München der Fall, wo oberflächennahe Grundwasserleiter mit grobkörnigen Sedimenten ein perfektes Habitat für Grundwasserinvertebraten darstellen. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden insgesamt etwa 100 Grundwassermessstellen verteilt über das gesamte Stadtgebiet sowie in außerstädtischen Bereichen untersucht. Dabei wurden Temperaturprofile erstellt, Wasserproben des Standwassers sowie des frisch gepumpten Grundwassers genommen und Stygofauna (Abb. 1) gesammelt. Die Grundwassertemperaturen im September und Oktober erreichten im Stadtzentrum teilweise Werte über 20 °C (in 1 m Tiefe unterhalb des Grundwasserspiegels), und sie unterschieden sich damit um bis zu 6 °C von den Temperaturen im ungestörten Raum. Auch das Vorkommen und die Zusammensetzung der stygobionten Gemeinschaft unterschied sich stark zwischen einzelnen Messstellen und Stadtgebieten. Stygobionten zusammen mit Mikroorganismen sind für wichtige Ökosystemleistungen verantwortlich wodurch z. B. Grundwasser in Trinkwasserqualität zur Verfügung steht. Störungen des Ökosystems und der komplexen biologischen Prozesse können somit nachreichende Folgen mit sich ziehen. Die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen physiko-chemischen Faktoren und der Biodiversität im Grundwasser sollten daher essentieller Bestandteil der Grundwasserforschung sein.

Exemplare der in München gesammelten Grundwasserfauna, eingefärbt mit Eosin
Exemplare der in München gesammelten Grundwasserfauna, eingefärbt mit Eosin



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