Epignoseberechnungen im Rahmen der hydrogeologischen Ursachenforschung der 2009er Böschungsbewegung im Braunkohlentagebau Nachterstedt auf Grundlage eines Wiederanstiegsversuchs

Friedemann Brückner1, Joachim Schumacher1, Holger Mansel1, Wieland Philipp2, Lisa Sander3
1 Ingenieurbüro für Grundwasser GmbH (IBGW)
2 selbstständiger Hydrologe
3 Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbauverwaltungsgesellschaft mbH (LMBV)

V 9.9 in Bergbau und Grundwasser

25.03.2022, 09:30-09:45, HS 3

Das Bergbaurevier Nachterstedt nördlich des Harzes gehört zu den ältesten Braunkohleförderräumen in Deutschland. Zwischen dem frühen 19. Jahrhundert bis Mitte der 1990er Jahre wurde hier Braunkohle gefördert. Im Anschluss begann die Sanierung und die Herstellung eines Sees mit dem Ziel der Nachnutzung des Gewässers. Schrittweise entstand seitdem ein teilgefluteter Bergbaufolgesee. Die Böschungsbewegung am 18. Juli 2009 stoppte den Fortgang der Seeflutung. Eine aufwendige Ursachenforschung war unerlässlich, auch um den erfolgreichen und sicheren Fortgang der Sanierungsarbeiten in anderen Tagebauen nicht zu gefährden (LMBV 2020).

Im Rahmen der Ursachenforschung wurden für die Präzisierung der hydrogeologischen Verhältnisse land- als auch seeseitige Bohrungen abgeteuft, die zum Teil als Grundwassermessstellen ausgebaut wurden. Seeseitig wurden dabei Piezometer für die Messung der Potentialdruckverhältnisse eingebracht. Die Modellvorstellungen der örtlichen Grundwasserdynamik konnten mit den Messgebern entscheidend verbessert werden, es konnte nun ein großräumiger Wiederanstiegsversuch durchgeführt werden. Hierfür wurde durch eine temporäre Abschaltung von Brunnen ein kurzzeitiger Grundwasseranstieg provoziert, dessen räumlicher und zeitlicher Verlauf messtechnisch erfasst wurde.

Die Messergebnisse für den Liegendgrundwasserleiter (unterhalb des gewonnenen Flözes) zeigen, dass sich bei Verringerung der Brunnenförderraten in einer räumlich begrenzten hydrogeologischen Struktur artesisch gespannte Druckverhältnisse einstellen.

Durch die Erkenntnisse zum Zustand nach der Böschungsbewegung ließen sich mit dem präzisierten und fortgeschriebenen Grundwassermodell (LMBV 2020), welches auf dem Simulator PCGEOFIM (Sames, D. et al. 1991-2021) basiert, die Verhältnisse in der Zeit vor der Böschungsbewegung abschätzen. Derartige Epignoseberechnungen werden bei Fragestellungen zu bereits vergangenen Zuständen eingesetzt, die teils oder gänzlich unbekannt sind.

Die Berechnungen ergaben, dass vor der Böschungsbewegung im Liegenden lokal hohe Potentiale mit einem Niveau von ca. 18 m über dem Seespiegel vorlagen (vgl. Abb.). Die Struktur mit den hohen Druckwasserständen steht im Süden mit gut durchlässigen wasserführenden quartären Schichten in Verbindung, wodurch eine ausgiebige Versorgung mit Grundwasser möglich wird. Nach Norden, Westen und Osten sowie zur aufliegenden Bergbaukippe ist die Struktur hydraulisch weitgehend isoliert, was den Aufbau der hohen Drücke maßgeblich begünstigt.

Die epignostischen Modellergebnisse waren eine wesentliche geohydraulische Grundlage für die Entwicklung der Modellvorstellungen des Versagensmechanismus der Böschung. Im Gutachten zur Ursachenforschung (Katzenbach, R. 2013) konnte festgestellt werden, dass die Böschungsbewegung durch ein nicht vorhersehbares dynamisches Initial sowie den ebenfalls unvorhersehbaren hohen artesischen Wasserdrücken als Folge der geologischen Anomalie im Liegendgrundwasserleiter verursacht wurde.

Rekonstruktion des Druckwasserspiegelniveaus vor der Böschungsbewegung
Rekonstruktion des Druckwasserspiegelniveaus vor der Böschungsbewegung



LMBV (2020): Die Sanierung des Tagebaus Nachterstedt nach der Böschungsbewegung von 2009, Downloadmöglichkeit unter https://www.lmbv.de/index.php/Publ_Mitteldeutschland.html

Sames, D., Blankenburg, R., Brückner, F., Müller M. (1991-2021): PCGEOFIM – Anwenderdokumentation, IBGW GmbH, Downloadmöglichkeit unter www.pcgeofim.de

Katzenbach, R. (2013): Zusammenfassende Darstellung und Bewertung der Ergebnisse der Ursachenforschung (Abschlussbericht Ursachenforschung) im Auftrag der LMBV mbH, Downloadmöglichkeit unter https://www.lmbv.de/index.php/ursachenbericht.html



Export as iCal: Export iCal