Abendvortrag - "Nicht nur das Grundwasser ist unter Druck"  

Der Abendvortrag ist öffentlich, eine Registrierung für die Konferenz ist daher nicht erforderlich. Wenn Sie am Abendvortrag teilnehmen möchten und NICHT zur Tagung registriert sind, bitten wir lediglich um eine Nachricht an geschaeftsstelle@fh-dggv.de mit dem Betreff "Jena 2022 - Abendvortrag". Die Zugangsinformationen zur werden Ihnen dann per E-Mail mitgeteilt.
 
Abendvortrag

Kai Uwe Totsche

Professor am Lehrstuhl für Hydrogeologie, Institut für Geowissenschaften

Friedrich-Schiller-Universität Jena, Burgweg 11, 07749 Jena (kai.totsche@uni-jena.de; www.hydro.uni-jena.de)

Vorsorgender und nachsorgender Boden- und Grundwasserschutz unter den Bedingungen des (Klima-)Wandels - Chancen und Herausforderungen für Forschung und Lehre

Nahezu 70% des Trinkwassers in Deutschland stammt aus dem Grundwasser. In Thüringen sind dies ca. 55% (Erwartung steigend) der öffentlichen Wasserversorgung; der Rest entfällt auf die Versorgung aus Oberflächenwasser (in Thüringen: Trinkwassertalsperren) sowie die Uferfiltration. Damit haben die Grundwasservorkommen eine herausragende Bedeutung für die Sicherung der Versorgung mit Trinkwassers, aber auch mit Brauch- und Prozesswasser. Die scheinbar noch verhältnismäßig hohe Qualität des Grundwassers resultiert aus dem Zusammenwirken einer Vielzahl natürlicher physikalischer, geochemischer und (mikro-)biologischer Prozesse im Untergrund, durch die eine „natürliche Reinigung“ des Sickerwassers aus dem Niederschlag – der „Quelle“ der oberflächennahen und intensiv genutzten Grundwasserleiter – auf dem Weg hin zum Grundwasserleiter erfolgt. Dieses Selbstreinigungsvermögen ist eine der vielen Funktionen des Untergrundes, der Böden, der Aerationszone und der gesättigten Zone, die das Fundament bilden für die für uns so überlebenswichtigen Ökosystemleistungen: Sauberes Wasser, Biodiversität, Kohlenstoffspeicherung, Bodenfruchtbarkeit, u.a.

Mittel- und unmittelbar durch den Menschen sind diese Leistungen jedoch im globalen wie lokalen Maßstab durch Bodendegradation (inkl. Denudation, Humusschwund), Flächeninanspruchnahme und Fragmentierung, Kontaminationen (Stoffeinträge inklusive pathogenen Keime und Viren aus Industrie, Landwirtschaft und privaten Haushalten), die thermische Nutzung (Gebäudeklimatisierung, Heizung) zunehmend bedroht, in alarmierendem Ausmaß gestört und teilweise bereits auf unabsehbare Zeit verloren. Der anthropogene Klima- und Landnutzungswandel und der damit einhergehende wachsende Nutzungsdruck auf terrestrische und aquatische Ökosysteme, Boden- und Grundwasserressourcen, verstärken und beschleunigen Veränderung von Menge, Zustand und Beschaffenheit des unterirdischen Wassers und damit auch die Veränderung der Diversität und Eigenschaften unterirdischen (Grundwasser-)Ökosysteme.

Der Schutz und die Anpassung an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels begründen unmittelbaren Handlungsbedarf auf vielerlei Ebenen, um Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität und Ökosystemvielfalt, den Landschaftswasserhaushalt, aber auch die direkten Nutzungen durch den Menschen, hier, Trinkwasserversorgung, Brauch- und Prozesswasserbereitstellung für Landwirtschaft, Obst- und Gemüsebau, Gewerbe und Industrie, sicherzustellen. Der vorsorgende und nachsorgende Boden- und Grundwasserschutz mit dem Ziel, den Bedrohungen durch Klima- und Landnutzungswandel mit konstruktiven Ideen und Strategien zu begegnen, ist damit nicht nur eine gesamtgesellschaftliche und generationenübergreifende Aufgabe, sondern begründet ein relevantes und innovationsträchtiges Lehr- und Forschungsfeld in den Umweltnaturwissenschaften im Überschneidungsbereich Geowissenschaften, Bodenwissenschaften, Hydrologie und Ökologie. Die Forschung und Lehre am Lehrstuhl für Hydrogeologie der FSU Jena fokussiert auf diese zentralen Bereiche und Herausforderungen der Vorsorge und der Existenzsicherung sowie des Ressourcen- und Ökosystemschutzes. Im Rahmen des Beitrages werden diese Herausforderungen in ihrem komplexen Beziehungsgeflecht an ausgewählten Beispielen (u.a. Wald, Siedlung) illustriert und Anforderungen und Lösungsstrategien für das „integrierte Landschafts- und Siedlungsmanagement“ vorgestellt. Dabei wird verdeutlicht, dass die Prämisse für die erfolgreiche Umsetzung von Lösungsansätzen nicht nur eine makroskopische und transdisziplinäre Synopse voraussetzt, sondern als „umweltnaturwissenschaftliches Paradigma“ auch Planungs- und Handlungsmaxime sein sollte. Dies bereits in naher Zukunft umsetzen zu können (bzw. zu müssen?) erfordert Innovation in den Inhalten zuvorderst und gerade in der universitären Lehre in den erkenntnisorientierten und angewandten Umweltnaturwissenschaften.

Abendvortrag
Typische Aerationszonen in Sedimentgesteins-Landschaften
(Oben: Buntsandstein, bei Orlamünde, Thüringen; Mitte: Steil verkippte Wechsellagerungen von Kalkstein und Mergeln,  Provence; Unten: Kalk-Mergel-Wechsellagen, Muschelkalk, Bischofsroda, Thüringen)
Abendvortrag
Sickerwasserprobenahme aus der Aerationszone. SFB AquaDiva.

25.03.2022, 18:00 Uhr, online