Ärzteblatt: Infraschall und Windenergie

Ärzteblatt: Infraschall und Windenergie

In der Ausgabe 06/2019 veröffentlichte das Ärzteblatt einen Artikel zu Infraschall und Windenergie. In Twitterdiskussionen wurde mehrfach dieser Artikel als angeblicher Beweis für die Gefährlichkeit von Infraschall von Windenergieanlagen angeführt. Daher möchte ich kurz auf den Artikel eingehen. Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Der Artikel macht den gleichen Fehler wie das ZDF in planet e: Infraschall - Unerhörter Lärm: Man missachtet durchgehend, dass für eine Wirkung von Infraschall Schalldruck und Frequenz zwei ganz entscheidende physikalische Größen sind.

Tendenziöser Beginn

Das erste Literaturzitat im Artikel ist ausgerechnet von Dr. Thomas Carl Stiller. Mit den fragwürdigen Aussagen dieses Autors habe ich mich in AEFIS - Dr. Thomas Carl Stiller auseinandergesetzt.

Als zweites wird auf einen Review Bezug genommen.

In einem aktuellen Review der Fachzeitschrift „Trends in Hearing“ sehen Wissenschaftler um Dr. Simon Carlile von der Universität in Sidney und dem Starking Hörzentrum in Berkeley/Kalifornien viele Argumente für somatische Effekte von Infraschall. Sie fordern dringend mehr Studien, um genauere Aussagen über Nebenwirkungen und mögliche Gesundheitsrisiken treffen zu können

Damit zitieren die Autoren den Review zwar nicht komplett falsch jedoch durchaus tendenziös. So steht im Paper von Carlile definitiv kein Wort von "dringend". Auch die "vielen Argumente" beziehen sich im Artikel vor allem auf eine Arbeit von Alec Salt. Die Arbeiten von Alec Salt sind wissenschaftlich äußerst umstritten.

Viel Wind, wenig Forschung

Dies ist ein Klassiker der Windenergiegegner. Tatsächlich wurden auch in Deutschland Forschungsprojekte zum Themenfeld durchgeführt (z.B. TREMAC). Außerdem gibt es umfangreiche Messungen der Landesämter (LUBW, LfU) zu Infraschall an Windenergieanlangen. Alle Ergebnisse deuteten darauf hin, dass die Infraschallsignale von Windenergieanlagen einfach zu schwach sind, um somatische Effekte auszulösen. Daraus einen "Vorsatz" herauszulesen halte ich für gewagt.        

Nocebo-getriggerte Symptome

Zugute halten muss man dem Artikel, dass zumindest auch die Nocebo-These erwähnt wird. Jedoch wird diese im gleichen Abschnitt wieder abgeschwächt:

Allerdings erklärt die Psyche die Beschwerden vermutlich nicht allein. Immer öfter zeigen Beobachtungen an den unterschiedlichsten Organen, dass es messbare Effekte von Infraschall gibt.

Doch die dann angeführten Belege sind nicht überzeugend und zeigen, dass die Autoren das Konzept von Schalldruck und Frequenz nicht verstanden haben.

Problem mit dem Schalldruck

So zitieren die Autoren das Rattenexperiment mit einer Beschallung von 130dB bei 5Hz. Zum Vergleich: Windräder kommen im Nahbereich auf 60dB. Das ist ein Leistungsunterschied von 10.000.000! Ähnlich sieht es mit den aufgeführten Arbeiten von Kuhn oder Vahl aus. Auch dort wurden Schalldrücke verwendet, die weit oberhalb der Schalldrücke von Windenergieanlagen liegen (vgl. ZDF planet e: Infraschall - Unerhörter Lärm und Diskussionsseite: Studie Prof. Vahl). Solche Arbeiten haben keine Relevanz für den schwachen Infraschall von Windenergieanlagen. Diese Arbeiten in einem Artikel zu Infraschall und Windenergie anzuführen, schürt völlig unbegründet Ängste. Vielleicht hätten sich die Autoren zunächst ausführlich mit der Dezibel-Skala beschäftigen sollen. 10 Dezibel mehr entsprechen einer Schallleistungssteigerung vom Faktor 10.

Entscheidende Information fehlt im Infokasten

Im Infokasten wird kurz auf das Thema Frequenz und Schalldruck eingegangen. Jedoch fehlt eine Angabe zu den Schalldrücken in der Nähe von Windenergieanlagen. Dafür wird betont, dass Infraschall kaum gedämpft wird, was nur für offene Bauwerke wie Lärmschutzwälle richtig ist. Eine geschlossene Gebäudehülle dämpft Infraschall nachweißlich.

Zitiert wird auch die Arbeit von Marcillo et al. Diese Arbeit wird regelmäßig als Beleg angeführt, dass Infraschall eines großen Windparks noch in 90km Entfernung zu detektieren sei. Ich halte es für äußerst fraglich, ob wirklich Infraschallsignale von Windenergieanlagen detektiert wurden (vgl. Schmalbandige, frequenzkonstante Signale). Die Arbeit hat ein ganz grundlegendes Problem: Es wurden weder Messungen im Nahbereich noch ein Abgleich mit den Betreiberdaten vorgenommen.

Fazit

Es gibt sicherlich schlechtere Artikel zu Infraschall und Windenergie. Trotzdem muss man den Autoren vorwerfen, dass sie im ganzen Artikel keine einzige Infraschallmessung an Windenergieanlagen zitieren. Entscheidend für die Wirkung von Infraschall sind jedoch Schalldruck und Frequenz. Beides ist bei Windenergieanlagen so niedrig, dass bis heute kein einziger Nachweis existiert, dass diese minimalen Schalldrücke in irgendeiner Form relevant wären.

Es ist überraschend, dass gerade Ärzte immer wieder diesen Fehler machen. Das Prinzip "die Dosis macht das Gift" ist in der Medizin unumstritten. Eine reife Banane kann einige Promille Ethanol enthalten. Niemand käme auf die Idee, aus der Wirkung von hochprozentigem Alkohol abzuleiten, dass Bananen in irgendeiner Form bedenklich wären. Dieses Konzept sollten Ärzte auch bei der Betrachtung von schwachem Infraschall von Windenergieanalgen verinnerlichen.

 

 

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