Hinweis: Diese Seite gibt die Meinung des Autors Dr. Stefan Holzheu wieder. Es ist kein offizieller Standpunkt des BayCEER oder der Universität Bayreuth. Die Seite erhebt den Anspruch der wissenschaftlichen Korrektheit. Für Hinweise auf eventuell irreführende oder nachweisbar falsche Aussagen bin ich dankbar. Änderungen dieser Seite werden transparent im Änderungsverlauf am Ende der Seite vermerkt.

Faktencheck #2: Vernunftkraft und Infraschall

Im ersten Faktencheck: Vernunftkraft über Infraschall habe ich die Seite https://www.vernunftkraft.de/infraschall/ analysiert. Die Seite ist der erste Treffer, wenn man in Google "Vernunftkraft + Infraschall" sucht. Einen prominenten Platz in der Navigationsstruktur der Vernunftkraftwebseite hat die Seite nicht (mehr?). Dafür gibt es eine neuere Seite. Diese ist unter der URL https://www.vernunftkraft.de/mythos-8/ aufzurufen und ist sehr prominent über den Menü-Punkt "Argumente - Menschen leiden" verlinkt. Die Seite ist somit eines der Kernargumente von Vernunftkraft. Wie die Navigation schon andeutet, geht es um gesundheitliche Schäden, die Menschen durch die Windenergie erleiden. Vernunftkraft sieht hier den Infraschall als eindeutige Ursache. Der folgende Text prüft, ob die Argumentation einem wissenschaftlichen Faktencheck stand hält.

Meine Ausführungen beziehen sich auf die Version vom 27.09.2020. Eine lokale Kopie der Seite liegt vor.

Vernunftkraft Mythos 8

Faktencheck

Die Seite von Vernunftkraft soll selbst den Eindruck eines Faktenchecks vermitteln. Insgesamt ist aber auch diese Seite eine Ansammlung von unbelegten oder falsch belegten Behauptungen. Im Vergleich zur zuvor geprüften Infraschallseite sind die Falschaussagen dieser Seite geschickter platziert und schwerer zu erkennen. Der ganze Aufbau der Seite zielt darauf ab, bei Anwohnern Ängste vor der Windenergie zu schüren.

Aufbau

Die Seite beginnt mit einem grünen Kasten mit weißer Schrift. Dort wird ein Mythos postuliert:

Mythos: Der Mensch ist durch geltende Gesetze vor allen Gefahren hinreichend geschützt. Durch Windkraftanlagen droht keine Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit.

Anschließend wird dieser postulierte Mythos mit einem angeblichen Faktum widerlegt:

Fakt ist: Die Auswirkungen der Windkraftindustrie auf den Menschen sind bislang unzureichend medizinisch erforscht. Eine bislang oftmals bagatellisierte Gefahr geht vom sogenanntem Infraschall aus. Bestehende Schallschutz- und Abstandsregeln sind nicht auf der Höhe der Zeit. Auch die optische Bedrängung wird in gegenwärtigen Planungen nicht adäquat berücksichtigt.

Danach kommt - wie es sich für einen Faktencheck gehört - das "Warum" mit vielen Einzelpunkten. Es startet mit:

“Ich fühle, was Du nicht hören kannst.”

Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Behauptung des "Fühlens von Infraschall" nicht belegt. Das mit Abstand empfindlichste Organ - auch für Infraschall - ist unser Ohr. Das heißt, wir können Infraschall immer zuerst hören und erst bei sehr großen Schalldrücken auch spüren. Ein Spüren ohne Hören gibt es dagegen nicht (vgl. Leventhall, Geoff. (2006). Infrasound from Wind Turbines – Fact, Fiction or Deception. Canadian Acoustics - Acoustique Canadienne. 34. 29-36.).

In ihrer neuesten Studie hat das Technische Forschungszentrum Finnland (VTT) mehrere Versuchspersonen in einem speziellen Schallraum mit unterschiedlichen Geräusch-Stimuli beschallt (06/2020 - Infrasound Does Not Explain Symptoms Related to Wind Turbines). Über Filter konnten bestimmte Frequenzbereiche (0-20Hz Infraschall oder 0-100Hz Infraschall + tieffrequenter Schall) ausgeblendet werden. Eine Schallprobe wurde auch inmitten eines Windparks mit 17 Vestas V126 - 3.3 MW aufgenommen. Der Abstand zum nächsten Windrad betrug 200m. Die Studie wurde nach dem wissenschaftlich geforderten Doppelblind-Ansatz durchgeführt, d.h. weder die Versuchsperson noch der durchführende Wissenschaftler wussten, ob die aktuelle Schallprobe Infraschall enthielt oder nicht. Als Schallproben wurden gezielt die Aufnahmen mit den höchsten Infraschallpegeln ausgewählt. Trotz dieser Extremproben konnte kein signifikanter Unterschied zwischen Samples mit und ohne Infraschall festgestellt werden. Selbst Versuchspersonen, die angaben, unter Windkrafträdern zu leiden, zeigten keine signifikante Abweichung in der Einschätzung der Geräusche mit oder ohne Infraschall.

Aus der subjektiven Sicht der Anwohner, die "gefühlt" stark unter Windenergieanlagen leiden, trifft diese Überschrift jedoch den Nagel auf den Kopf. Infraschall scheint vielen eine plausible Erklärung für die Leiden zu sein. Natürlich wissen auch diese Menschen, dass es andere Menschen gibt, die bei den gleichen Abständen überhaupt keine Probleme mit Windenergieanlagen haben. Diese unterschiedliche Wirkung erklärt Vernunftkraft mit "Einwirkdauer und individueller Konstitution". Der Abschnitt endet mit einem Satz, der besonders bei Leuten Angst machen soll, die bisher noch keine Erfahrungen mit Windrädern in der näheren Umgebung hatten:

Lebensqualität wird hier auf der Basis hirnphysiologischer Prozesse „von innen her“ zerstört.

Der vermeindliche Beleg für diese Behauptung folgt weiter unten im Text.

Schallemissionen durch Windenergieanlagen

Der erste Abschnitt unter dieser Überschrift beschäftigt sich mit hörbarem Schall. Dieser ist bei Windkraftanlagen zweifelsohne vorhanden und kann je nach Wetterlage und Betriebszustand über größere Distanzen wahrgenommen werden. Für den hörbaren Schall gibt es jedoch die TA-Lärm, die dafür sorgt, dass die Lärmbelastung bestimmte Grenzwerte nicht überschreitet. Im allgemeinen reichen 700m Abstand, um 40dB(A) nachts einzuhalten (Quelle LUBW).

Das deckt sich mit den Erfahrungen, die viele Menschen inzwischen mit Windenergieanlagen haben. Die Geräusche der Windenergieanlagen sind zwar wahrnehmbar, jedoch im Vergleich zu anderen Quellen (z.B. Verkehr) eher leise. Der hörbare Schall der Windenergieanlagen eignet sich daher weniger, um daraus eine ernsthafte Gesundheitsgefährdung zu konstruieren. Deshalb setzt Vernunftkraft im zweiten Absatz auf etwas, was die Menschen viel schwerer bewerten können: Infraschall!

Problematischer ist die unhörbare Komponente der Schall-Emission von WEA: Wenn ein Rotorflügel den Mast passiert (etwa 1–2 Mal pro Sekunde), entsteht durch Kompression der Luft eine Druckwelle. ...

Das mit der Druckwelle ist korrekt. Aber Vernunftkraft verschweigt natürlich an dieser Stelle die Amplitude der Druckwelle. Die Amplitude beträgt bereits in 300m kaum mehr als 0,2 Pa. Das ist die Druckdifferenz, der man sich aussetzt, wenn man seine Höhenlage um 1,7cm verändert. Diese schon kleine Amplitude wird mit größeren Abständen noch kleiner. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass Menschen diese minimalen Druckwellen wahrnehmen können. Wir sind ja nicht einmal in der Lage, deutlich größere Druckwellen (mehrere Pa), wie sie beim Schließen und Öffnen von Türen entstehen, zu erkennen (vgl. Physik des Infraschalls eines Windrad).

Die Reichweite von Infraschall aus Windenergieanlagen

Dazu schreibt Vernunftkraft:

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hat z.B. die Emission von 1,5 MW und 5 MW-Anlagen noch in mehr als 10 km erfasst.

Das ist nicht korrekt. Infraschallmessungen hat die BGR nur an einem Windrad durchgeführt. Die Angaben für 1,5MW und 5MW Anlagen sind reine Hochrechnungen und wurden messtechnisch nicht validiert. Die Hochrechnungen der BGR fußen auf einem Rechenfehler und liefern viel zu hohe Schalldrücke. Darüber hinaus gibt es einen Normierungsfehler, weil die BGR ihr vermessenes Windrad mit 200kW angesetzt hat. Tatsächlich war es jedoch eine Vestas V47 mit 200 und 660kW Generator. Bei hoher Drehzahl (26rpm), welche zur Normierung genutzt wurde, arbeitet der große 660kW-Generator (vgl. Diskussionsseite BGR-Studie und Warum die Schalldrücke der BGR falsch sind).

Eine weitere unbelegte Behauptung betrifft die Weiterleitung von Schwingungen im Untergrund:

Infraschall wird nicht nur durch die Luft, sondern auch im Untergrund über große Entfernungen transportiert. In weit entfernten Gebäuden können Infraschallwellen als “Körperschall” auftreten und dabei den luftgeleiteten Infraschall verstärken.

In der zitierten BGR Publikation steht dazu nichts. Die LUBW (Tieffrequente Geräusche inkl. Infraschall von Windkraftanlagen und anderen Quellen) hat bei ihren Messungen auch Schwingungsmessungen in verschiedenen Abständen zu einer Windenergieanlage durchgeführt. Nach 285m waren keine über das Hintergrundrauschen hinausgehenden Schwingungen mehr zu detektieren. Auch das Forschungsprojekt TremAc betont in einer Presseerklärung, dass kein Zusammenhang zwischen seismischen Wellen oder Infraschall und Belästigung besteht. Eine Weiterleitung von Körperschall über viele hundert Meter mit einer Amplitude, die ausreicht, wahrnehmbare Schwingungen zu erzeugen, ist messtechnisch nicht belegt und physikalisch kaum vorstellbar. Trotzdem scheint dieses Argument bei Windkraftgegnern weit verbreitet:

Twitter-Diskussion Körperschall

Infraschall als Gesundheitsrisiko

Dieser Teil beginnt mit allgemeinen Infraschallquellen. Interessant ist der zweite Abschnitt:

Der Infraschall aus Windenergieanlagen unterscheidet sich von anderen Quellen dadurch, dass er in Form rhythmischer Pulse im Frequenzbereich von ca. 0,5 bis etwa 6 Hz abgestrahlt wird. Dieser gepulste Infraschall löst bei empfindlichen Menschen weit unterhalb der Hör- oder Wahrnehmungsschwelle Gesundheitsstörungen aus. Etwa 10 bis 30 % der Bevölkerung sind für Infraschall empfindlich. Diese Menschen entwickeln ein unspezifisches Symptombild, das Ärzte erst allmählich zuzuordnen lernen.

Wieder stellt Vernunftkraft eine Behauptung ohne Beleg auf. Insbesondere die Behauptung "10 bis 30 % der Bevölkerung sind für Infraschall empfindlich" spielt eine Schlüsselrolle. Sie soll erklären, warum nicht alle Menschen unter diesen Symptomen leiden. Auch wenn es für sie keinen Beleg gibt, hat es diese Zahl bereits in zahlreiche Beiträge zum Thema Infraschall geschafft (vgl. ZDF planet e: Infraschall - Unerhörter Lärm). Wissenschaftliche Versuche konnten bisher keine besondere Empfindlichkeit für Infraschall nachweisen (z.B. VTT - siehe oben).

Im letzten Abschnitt werden physiologische Wirkungen (wieder ohne irgendeinen Beleg) thematisiert:

Physiologisch gesehen kommt es u.a. zu Schädigung der Haarzellen des Corti-Organs der Hörschnecke und Dauerreizungen bestimmter Hirnareale. Wirkungen auf Herz und Gefäße mit krankhaften Veränderungen des Bindegewebes in den Arterien am Herzbeutel wurden bei langjährig Schallexponierten und im Tierversuch nachgewiesen.

Grundsätzlich kann Infraschall pyhsiologische Wirkungen entfalten. Dafür sind jedoch um Größenordnungen höhere Schalldrücke notwendig (z.B. 140dB bei Tierversuchen mit Ratten). Selbst die hohen Schalldrücke in einem fahrenden PKW (10.000-100.000 fach höhere Infraschallleistung als bei einer WEA) scheinen keine messbare physiologische Wirkung zu haben (vgl. Infraschall im Auto). Würden die schwachen Infraschallsignale von Windenergieanlagen tatsächlich Haarzellen des Corti-Organs der Hörschnecke schädigen, wäre eine PKW-Nutzung unmöglich. Diese Einschätzung bestätigt auch die neueste UBA-Studie (vgl. Blog-Eintrag: Neue Studie des UBA zur Lärmwirkung von Infraschallimmissionen).

No-Nocebo – Naivität nützt nicht

Wissenschaftlich gilt tatsächlich der Nocebo-Effekt als einzige plausible Erklärung für die Leiden mancher Windpark-Anwohner (vgl. Crichton et al. 2013). Dem versucht Vernunftkraft zu widersprechen.

Seitens der Windenergieindustrie und ihr nahestehender Wissenschaftler wird regelmäßig behauptet, dass die individuelle Betroffenheit von der Einstellung gegenüber den Anlagen abhinge. Es handele sich um „eingebildete Krankheiten“, denen keine triftige medizinische Ursache zugrunde läge (NOCEBO-Effekt). Diese Behauptung ist interessengeleitet und falsch, denn die Symptome treffen alle empfindsamen Personen gleichermaßen (auch Windkraftenthusiasten sind nicht davor gefeit). In den vergangenen Jahren wurden international hierzu zahlreiche Studien durchgeführt.

Belegt werden diese "zahlreichen Studien" mit genau einer! Steven Cooper (2014): “The results of an acoustic testing program Cape Bridgewater Wind Farm”: Aufgrund von sechs Anwohnerbeschwerden aus drei Häusern beauftragte der Windparkbetreiber, die Fa. Pacific Hydro in Melbourne, den Akustiker Steven Cooper mit der Ursachenforschung. Über den Schalldruck findet Steven Cooper keine Erklärung für die Beschwerden. Er entwickelt ein höchst spekulatives Erklärungsmodell. Die Studie ist lediglich als Abschlussbericht veröffentlicht. Es gibt keine wissenschaftlich geprüfte Peer-Review Publikation.

Aufgrund von Kritik aus der Fachwelt haben der Autor und sein Auftraggeber eine Bewertung der eigenen Studie vorgenommen (Joint Statement). Darin bezeichnen sie diese als nicht wissenschaftlich. Die Studie habe auch nicht der Untersuchung gesundheitlicher Auswirkungen gedient. Es seien keine Genehmigungsauflagen im Bereich Lärm überprüft worden, die Ergebnisse würden keine Änderung von Regelungen nahelegen oder rechtfertigen. Die Studie stelle einen neuen Ansatz zur Beurteilung der akustischen Umgebung dar und beinhalte eine Reihe ungeprüfter Hypothesen.

Es sagt viel über die wissenschaftliche Qualität der Argumentation, wenn Vernunftkraft lediglich solch eine Studie aufführen kann. Inzwischen ist die Studie nicht mehr abrufbar, ebenso das Joint Statement.

Wie wirkt Infraschall auf das Gehirn?

In diesem Abschnitt bezieht sich Vernunftkraft auf die Ergebnisse von Frau Prof. Simone Kühn. In ihrer Publikation (Altered cortical and subcortical connectivity due to infrasound administered near the hearing threshold – Evidence from fMRI) haben die Autoren mit Hilfe des bildgebenden Verfahrens der funktionellen Magnetresonanztomographie Regionen im Gehirn sichtbar gemacht, die bei Infraschalleinwirkung eine Anregung erfahren. Interessant war, dass die Anregung besonders stark war, wenn der Schalldruck an der individuellen Hörschwelle lag. Bei höheren Schalldrücken sank die Anregung wieder. Anscheinend alarmiert ein "schwaches" kaum wahrnehmbares tieffrequentes Geräusch das Gehirn mehr als ein klar definiertes lauteres. Vernunftkraft verschweigt natürlich an dieser Stelle Schalldruck und Frequenz. Die Frequenz betrug 12 Hz und die "schwachen" Schalldrücke lagen bei 79-94dB. Der Schwerpunkt der Infraschallemissionen der WEA liegt mit 1-8Hz deutlich tiefer. Bei 4Hz liegt die Wahrnehmungsschwelle (10% Percentil) bei 113dB. Die Hörschwelle (50% Percentil) liegt noch höher. Dazu kommt, dass selbst in 300m Entfernung die Schalldrücke an einem Windrad maximal 60dB betragen (vgl. z.B. Messkampagne Windrad Harsdorf 05/2020) und damit um Größenordnungen niedriger sind als die Schalldrücke in der Studie. Eine Übertragung der Ergebnisse von Prof. Simone Kühn auf niedrigere Frequenzen und deutlich niedrigere Schalldrücke ist nicht zulässig. Leider hat auch das ZDF in planet e: Infraschall - Unerhörter Lärm den gleichen Fehler gemacht. Die Autoren selbst diskutieren die Ergebnisse auch gar nicht in Zusammenhang mit Infraschall bei Windenergieanlagen.

Vernunftkraft zieht jedoch folgende Schlussfolgerung aus der Studie:

Offenbar wirkt Infraschall jenseits der Hörschwelle und durch einen vom Bewusstsein unabhängigen Mechanismus.

Die Aussage "jenseits der Hörschwelle" ist nicht zutreffend auf die Versuche der Arbeitsgruppe Kühn. Es handelte sich um Infraschall an der Hörschwelle! Naturwissenschaftlich ist ganz klar: Egal ob bewusste oder unbewusste Wahrnehmung - beides setzt voraus, dass eine physikalische Anregung von Sinneszellen erfolgt. Bei 4Hz ist ein Schalldruck von 113dB notwendig, damit 10% der Bevölkerung den Ton wahrnehmen. Bei einer WEA in nur 300m Entfernung werden gerade mal 60dB erreicht. Es ist nicht vorstellbar, dass die über 100.000fach geringeren Schallleistungen einer WEA ausreichen, Sinneszellen anzuregen.

Schutzvorschriften gehen ins Leere, Behörden versagen

Nach vielen falschen Behauptungen ohne wissenschaftlichen Beleg und falscher Interpretation von Studien kommt Vernunftkraft zum Schluss, dass Behörden versagen. Dieser Punkt wurde schon im ersten Faktencheck diskutiert. Tatsächlich erfasst DIN 45680 den Hauptemissionsbereich (1-8Hz) der Windräder nicht. Es gibt jedoch auch keine objektiven Kriterien, aus denen sich eine Notwendigkeit für Messungen und Grenzwerte ableiten ließe.

Die Anspielung auf Röntgenstrahlung ist sicherlich gezielt gesetzt und fachlich absolut deplatziert. Bei Röntgenstrahlung gibt es einen wissenschaftlich klar erwiesenen Wirkmechanismus. Bei Infraschall zeigen alle wissenschaftlichen Ergebnisse, dass es bei den von Windenergieanlagen erzeugten Schalldrücken keinerlei Hinweise auf eine schädigende Wirkung gibt.

Das Einzige, was schützt, ist Abstand.

Das Abklingen gesundheitlicher Schäden mit steigender Entfernung von WEA ist gut dokumentiert.20 Die in Bayern gültige 10H-Regelung stellt – da, wo sie tatsächlich eingehalten wird – im Sinne der Gesundheitsprävention eine erste Annäherung an das Notwendige dar.

Witzig ist, dass die einzige Fußnote auf der ganzen Seite - "20" - ins Leere führt. Soweit zu "gut dokumentiert". (Die Fußnote wurde inzwischen von Vernunftkraft gelöscht).

Im folgenden Abschnitt versucht Vernunftkraft, die Ergebnisse der LUBW-Studie (siehe oben) in Zweifel zu ziehen und fasst alles mit folgender Argumentation zusammen:

In einer Entfernung, die der zehnfachen Anlagenhöhe entspricht, treten noch erhebliche Infraschalldrucke auf, und es lassen sich Gehirnbereiche identifizieren, die durch Infraschall unterhalb der Hörschwelle aktiviert werden. Die LUBW-Studie benutzt sachlich unzureichende Messungen zur Beruhigung der Bürger. So wird z.B.

  • der gepulste Infraschall der WEA nicht klar vom Infraschall der Umgebung getrennt,
  • in den meisten Messungen der kritische Bereich unter 8 Hz ganz ausgefiltert,
  • keine Messung in Gebäuden durchgeführt (dort ist Infraschall oft sogar stärker wirksam als im Freien) und
  • die Ausbreitung des Infraschalls über den Untergrund nicht sachgerecht gemessen.

Mal wieder Behauptungen ohne Beleg. In einer Entfernung, die der zehnfachen Anlagenhöhe entspricht, werden sicherlich keine "erheblichen Infraschalldrücke" auftreten (vgl. Messkampagne Windrad Harsdorf 05/2020). Eine klare Aussage, welchem dB-Wert ein erheblicher Schalldruck entspricht, bleibt wie immer aus. Mir ist keine Studie bekannt, die in einem Doppelblindversuch eindeutig zeigt, dass die minimalen Drucksignale der Windräder ausreichen, Gehirnbereiche zu aktivieren. Ich halte diese Behauptung für frei erfunden, sonst würde Vernunftkraft hier selbstverständlich einen Beleg liefern.

Auch der Begriff "gepulster Infraschall" ist irreführend. Nur das Drucksignal ist impulsartig. Diese Impulse sind nur in relativ kleinen Abständen klar im allgemeinen Hintergrundrauschen zu erkennen (vgl. Physik des Infraschalls eines Windrad).

Ebenso ist die Behauptung, dass die meisten Messungen den "kritischen" Bereich unter 8 Hz ganz ausfiltern, im Bezug auf die LUBW-Studie falsch. In ihrer Studie hat die LUBW extra in diesen Frequenzbereich gemessen.

Messungen in Gebäuden hat die LUBW selbst zwar nicht durchgeführt. Es existieren jedoch solche Messungen. Die Behauptung, dass "Infraschall in Gebäuden oft sogar stärker wirksam sei als im Freien", ist definitiv falsch und soll die Menschen verunsichern. Die folgende Grafik zeigt eine Messung aus Leventhall, Geoff. (2013). Concerns about Infrasound from Wind Turbines. Acoustics Today. 9. 30. 10.1121/1.4821143

Leventhall Acoustics Today, Abbildung 4

Man erkennt klar, dass die Schalldruckpegel im Haus durchgehend niedriger sind als außerhalb. Die oft zitierten Raummoden (Resonanzfrequenzen im Haus) treten üblicherweise bei Frequenzen von 10-30Hz auf und liegen damit oberhalb der Hauptemissionen der Windenergieanlagen (1-8Hz). Für eine Resonanz muss die Raumlänge die halbe Wellenlänge betragen. Bei 2Hz ist die Wellenlänge 170m. Für eine Resonanz müsste der Raum 85m groß sein. Für eine Raumgröße von 10m beträgt die Resonanzfrequenz 17Hz. Auch eigene Messungen zeigen sehr ähnliche Dämpfungseffekte (vgl. Infraschallquelle Wind).

Der letze Punkt mit der "Ausbreitung des Infraschalls über den Untergrund" wurde oben schon eingehend als nicht zutreffend diskutiert.

Zum Abschluss der Argumentation bringt Vernunftkraft nochmal die Anspielung auf die Aussagen von Prof. Krahé in den beiden UBA-Studien, dass noch mehr Forschung notwendig sei. Auf diesen Punkt wurde schon im ersten  Faktencheck: Vernunftkraft über Infraschall ausführlich eingegangen.

Fazit (von Vernunftkraft)

Wenig überraschend kommt Vernunftkraft mit all den unbelegten oder falsch belegten Behauptungen am Ende zu einem vernichtenden Ergebnis:

Menschen erfahren durch Windkraftanlagen massive Einbußen an Lebensqualität bis hin zu Gesundheitsschäden. Die gängige Praxis, auf Ausbauzielen zu beharren, ohne die Gesundheitswirkungen zu verstehen, entspricht einem großangelegten Feldversuch und ist damit verantwortungslos.

 

Fazit (vom Autor)

Auch dieser Beitrag von Vernunftkraft zu Infraschall und Windenergie ist gespickt mit unbelegten oder falsch belegten Behauptungen. Solch eine Seite dient sicher nicht der Information und Aufklärung, sondern hat allein den Zweck, die Bevölkerung bezüglich der Windenergie zu verunsichern. Mit dieser bewusst fehlerhaften Darstellung disqualifiziert sich Vernunftkraft. Entgegen eigener Beteuerungen ist Vernunftkraft offensichtlich keine Organisation, die sich der Wahrheit und wissenschaftlichen Fakten verpflichtet fühlt. Wenig überraschend ist es daher, dass sich Vernunftkraft einem echten wissenschaftlichen Dialog verweigert. Zu meinem ersten Faktencheck war die einzige Reaktion eine pauschale Unterstellung der "Unwissenschaftlichkeit". Meine Aufforderung, den Faktencheck inhaltlich zu kommentieren, blieb unbeantwortet.

Tweet Vernunftkraft Brandenburg

Mir wird von Windkraftgegnern immer wieder vorgeworfen, ich würde die Sorgen und Beschwerden der Anwohner von Windenergieanlagen nicht ernst nehmen. Das Gegenteil ist der Fall! Es ist unumstritten, dass es einen statistischen Zusammenhang zwischen Beschwerden und dem Betrieb von Windenergieanlagen gibt. Aber - und das lehre ich in der ersten Stunde meiner Grundvorlesung Statistik - ein statistischer Zusammenhang darf nie als Beweis für eine Ursachen-Wirkungs-Beziehung gesehen werden. Alle wissenschaftlichen Versuche, diese Beschwerden ursächlich auf Infraschall von Windenergieanlagen zurückzuführen, sind bisher gescheitert. Beim gegenwärtigen Kenntnisstand müssen wir davon ausgehen, dass es keine Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch die schwachen Infraschallsignale von Windenergieanlagen gibt. Der wahrscheinlichste Wirkmechanismus für die Beschwerden ist wie folgt:

  1. Menschen hören Geräusche einer Windenergieanlage. Bei bestimmten Wetterlagen können diese bis zu 1km wahrgenommen werden.
  2. Die Menschen projizieren in diese Geräusche (oder auch nur in die Windgeräusche) die Angst vor einem "gefährlichen" Infraschall.
  3. Aus dieser Angst erwachsen leider tatsächliche körperliche Beschwerden und verstärken so die Angst (Nocebo-Effekt).

Damit liegt die Ursache für die Beschwerden nicht beim schwachen Infraschall der Windräder, sondern bei EIKE, Windwahn, Vernunftkraft & Co., die mit wissenschaftlich haarsträubenden Horrorgeschichten über angeblich gefährlichen Infraschall Angst säen und auch ernten. Jeder Mensch, der in seinem Leben leidet, ist einer zu viel. Meine Motivation ist es aufzuklären. Deshalb habe ich auch auf diese Webseite eine Anleitung gestellt, wie man selbst Infraschall messen kann. Infraschall ist nichts Mystisches. Es ist auch nicht schwer, Infraschall zu messen. Infraschall ist lediglich eine Luftdruckänderung mit Frequenzen kleiner 20Hz. Solche Luftdruckänderungen gibt es immer und überall. Windenergieanlagen liefern hier keinen großen Beitrag. Wissenschaftlich betrachtet gibt es keinen Grund, sich vor den schwachen Infraschallsignalen der Windenergieanlagen zu fürchten.

Selbstverständlich ist die Windenergie nicht perfekt. Es gibt Schlagopfer, Schattenwurf und Geräusche. Aber angesichts der immer schwerwiegenderen Klimawandelfolgen muss hier eine Güterabwägung erfolgen. Forderungen nach "Null"-Schlagopfer, "Null"-Schattenwurf und "Null"-Geräusch, wie sie manche Windkraftgegner stellen, gehen an der Lebensrealität einer Industriegesellschaft vorbei.

Twitter-Diskussion um WEA-Geräusche

Dr. Stefan Holzheu, letzte Änderung 04.10.2020 14.30 Uhr.

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Änderungsverlauf:

04.10.2020 14.30 Uhr
- Veröffentlichung der ersten Version

 

 

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