Von: Stefan Holzheu <stefan.holzheu@uni-bayreuth.de>
An: "Khamis, Sammy" <Sammy.Khamis@br.de>
Betreff: Re: Anfrage BR24/ Bayerischer Rundfunk -  Infraschall: Vergleich PKW und WEA
Datum: Mon, 24 Aug 2020 15:27:14 +0200

 

Lieber Herr Khamis,
wie besprochen, hier die Antwort auf ihre Fragen:

Am Montag, den 24.08.2020, 10:52 +0000 schrieb Khamis, Sammy:
> Guten Tag sehr geehrter Herr Holzheu,
>
> Mein Name ist Sammy Khamis, Reporter im BR. Ich arbeite in der
> Abteilung Verifikation, die Faktenchecks für BR24 schreibt. In der
> vergangenen Woche sind wir auf ihren Versuch gestoßen den Infraschall
> im Auto mit dem von Windenergieanlagen  zu vergleichen. Da dieser
> Versuch in sozialen Netzwerken augenscheinliche Verbreitung fand,
> planen wir in dieser Woche einen Text dazu zu veröffentlichen.
>
> Diesbezüglich möchte ich Sie bitten mir möglichst bald, spätestens
> jedoch bis Mittwochmittag, 26. August, folgende Frage zu beantworten:
>
> - Sprechen Sie bei dem Auto-Windkraft-Vergleich eher von einem
> Versuch oder einer Studie? Für wie wissenschaftlich halten Sie die
> darin geäußerten Aussagen und Messungen?

Bezeichnen Sie es als Versuch.

>
> - Wissenschaftler*innen, mit denen wir über Ihren Versuch sprachen,
> bezeichnen den Versuchsaufbau als „grundsätzlich geeignet“. Jedoch
> stellen sie die Frage ob und ggf. wie Sie den Faktor Winddruck im
> Fahrzeug (bei geöffneten Fenstern), brücksichtigt haben?
>
Wie ausgeführt waren die Fenster fast durchgängig geschlossen. Durch
die Positionierung der Messgeräte direkt hinter der Rückbank sollte ein
direkter Windeinfluss selbst bei geöffneten Fenstern eher klein sein.
Auch die gute Übereinstimmung der beiden unabhängigen Messgeräte zeigt,
dass die Messung reproduzierbar ist.

> - Infraschall lasse sich nicht aufaddieren, so Forscher. Entsprechend
> sei ein Vergleich zwischen Autofahrt und Windpark „irreführend“.
> Entscheidend sei auch welchem und in welchen Zeiträumen man
> Infraschall ausgesetzt sei. Hinzu komme, dass das Geräusch im Auto
> „eher gleichmäßig“ bei einer WEA jedoch „impulsartig“ sei und dadurch
> anders von Menschen wahrgenommen würde. Wie entgegnen Sie dieser
> Aussage?
>

Man kann den Energiegehalt des Schalls sehr wohl aufaddieren. Dazu gibt
es Rechenregeln aus der Akustik. Alle mir bekannten Versuche zur
Wirkung von Infraschall (z.B. die oft zitierte Studie von Prof. Vahl)
zeigen nur Effekte, wenn der Schalldruckpegel (SPL) entsprechend hoch
ist (>100dB re 20µPa). Bei meinem Versuch ging es mir darum zu zeigen,
dass die Infraschallpegel von Windenergieanlagen extrem niedrig sind,
verglichen mit Pegeln, denen wir uns sonst aussetzen. Gerade wenn wir
über mögliche physische Effekte (z.B. Schädigung Innenohr) reden, ist
der Schalldruckpegel die relevante Größe.

Durch den Flügeldurchgang hat das Drucksignal der Windräder eine
Impulsform. Im Vergleich zur Amplitude des Drucksignalen in einem PKW
ist dieser Impuls jedoch extrem niedrig. Dies gilt schon in 300m
Entfernung zum Windrad. Wenn man weiter weg ist, reduziert sich die
Höhe noch weiter.

Windkraftgegner argumentieren gerne mit dem "Schlafargument". Beim
Schlafen geht es eher um einen psychischen Effekt. Aber auch hier ist
die Wahrnehmbarkeit eine entscheidende Größe. Die Infraschallpegel der
Windenergieanlagen sind um _Größenordnungen_ unter der
Wahrnehmungsschwelle. Ich bin ziemlich überzeugt davon, dass kein
Mensch in der Lage ist, Infraschallsignale von Windrädern bewusst oder
unbewusst wahrzunehmen. Es gibt auch keinen überzeugenden
Doppelblindversuchsuch, der das beweisen würde. 


> - Die von Ihnen gemessene Belastung sei  mit denen von
> Windenergieanlagen nur bedingt vergleichbar („nicht sachgerecht“).
> Anwohner von WEA hätten „keine Wahlmöglichkeit und befinden sich
> einer Situation, in der sie sich einer wahrgenommenen dauerhaften
> Belastung nicht entziehen können.“ Autofahrer*innen seien der
> Belastung weniger lange ausgesetzt. Was entgegnen Sie diesem
> Argument?
>
Manche Eltern fahren ihre kleinen Kinder extra mit dem Auto spazieren,
damit diese schlafen ;-).

In meinem Versuch ging es aber eher um die Relativierung von
angeblichen physischen Schädigungen des Infraschalls von
Windenergieanlagen.


> - Ein weiteres Argument bzgl. der wahrgenommenen Belastung durch WEA
> liege in darin, dass „die wesentliche Wirkung auf neuronaler Ebene
> stattfinden dürfte und damit das mentale Wohlbefinden stark
> beeinflussen“ würde. Da viele Anwohner*innen von Windparks von
> Schlafproblemem berichteten, gehen Wissenschaftler*innen davon aus,
> dass Infraschall besonders dann als störend empfunden wird, wenn kaum
> andere Störgeräusche vorhanden seien. Wenn ich Ihre Kolleg*innen
> richtig verstehe heißt das: Infraschall-Belastung ist
> situationsabhängig. Was einen tagsüber (oder beim Autofahren) nicht
> stört, fällt beim Schlafengehen umso mehr ins Gewicht. Wie reagieren
> Sie auf diese Einschätzung?

Eine Wirkung auf neuronaler Ebene setzt voraus, dass Nervenzellen aus
dem allgemeinen Drucksignal, das Infraschallsignal der Windräder
irgendwie detektieren können. Bisherige Versuche zeigen immer wieder,
dass es nur neuronale Antworten gibt, wenn der Infraschall-Pegel über
oder knapp unter der Wahrnehmungsschwelle liegt.
Das Harsdorfer Windrad kommt bei 300m Entfernung auf maximale
Schalldrücke (2. BPH) von 60dB re 20µPa. Die Wahrnehmungsschwelle liegt
bei 2,5Hz jedoch bei 120dB. Das ist bezogen auf den Energiegehalt ein
Faktor 1.000.000.
 
Die ganze Infraschalldiskussion von Windenergiegegnern ist geprägt von
sehr vielen Horrorgeschichten, die sich bei genauerer
wissenschaftlicher Betrachtung als haltlos herausstellen. Leider haben
diese Geschichten sehr wohl eine Wirkung (Nocebo). Ich finde es sehr
schade, dass Menschen Angst vor Infraschall haben, denn die Menschen
leiden tatsächlich.

Wir haben an meinem Wohnort Harsdorf seit 2001 ein Windrad. Die
nächsten Häuser sind 300-500m vom Windrad (1,5MW) entfernt. Ich kenne
mehrere der Anwohner (alle Altersklassen) sehr gut. Kein einziger
erzählt von Schlafstörungen durch das Windrad.

Es ist wirklich schade, dass es Windkraftgegnern (auch mit dem
Infraschallargument) gelungen ist, den Windenergieausbau in Deutschland
fast vollständig zum erliegen zu bringen. Gegenüber der jungen
Generation ist dies kaum zu entschuldigen. Nicht nur, dass wir
massenhaft Zukunfts-Arbeitsplätze vernichtet haben. Wir konnten nicht
mal die (wenig ambitionierten) CO2-Reduktionsziele eingehalten.



Viele Grüße

Dr. Stefan Holzheu



>
> Ich freue mich von Ihnen zu hören!
>
> Herzlich
> Sammy Khamis
>
>
> --
> Bayerischer Rundfunk - German Public Broadcaster

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