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Warum die BGR ihre falschen Schalldruckwerte korrigieren sollte

Seit März 2020 versuche ich mit Unterstützung weiterer Wissenschaftler, die gewaltige Diskrepanz zwischen gemessenen Schalldruckpegeln verschiedener Institutionen (LUBW, LfU, VTT, ...) und denen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zu klären. Nach längeren Diskussionen bin ich im Juli 2020 zum Schluss gekommen, dass die hohen Schalldruckwerte der BGR im Wesentlichen auf einen Rechen- und Normierungsfehler zurückzuführen sind (vgl. Diskussionsseite BGR-Studie und Warum die Schalldrücke der BGR falsch sind). Diese Fehler bewegen sich in der Größenordnung von 30-40dB, was in Schallleistung einem Faktor von 1000-10000 entspricht.

Die BGR ist über die Erkenntnisse informiert, verweigert jedoch die weitere Diskussion. In diesem Artikel arbeite ich heraus, warum ich es für höchst relevant erachte, dass die BGR ihre falschen Schalldruckwerte endlich korrigiert.

1. Effekte auf den Menschen nur bei hohen Infraschalldrücken

Infraschall ist nicht gleich Infraschall. Auch für Infraschall gilt: "Die Dosis macht das Gift". So hat z.B. Prof. Vahl bei Schalldrücken ab 100dB (SPL re 20µPa) physiologische Effekte auf isolierte Herzmuskelzellen festgestellt, Prof. Kühn durch Hirnscans psychologische Effekte ab 79dB (vgl. ZDF planet e: Infraschall - Unerhörter Lärm). Beide Fälle setzten eine Infraschallfrequenz von 16Hz bzw. 12Hz ein, die deutlich oberhalb der Hauptemissionsfrequenzen der Windenergieanlagen liegt (1-5Hz). Damit ist die Übertragbarkeit auf Windkraftanlagen begrenzt. Außerdem gibt es bei der Studie von Prof. Vahl weitere Kritikpunkte (vgl. Diskussionsseite: Studie Prof. Vahl).

Trotz dieser Einschränkungen: Wären die Schalldrücke der Windenergieanlagen tatsächlich in so hohen Bereichen, wäre es aufgrund der Vorsorgepflicht diskutabel, den Ausbau der Windenergie aufgrund dieser Ergebnisse zu hinterfragen. Tatsächlich unterschreiten Schalldruckmessungen an Windenergieanlagen bereits im Abstand von 200m diese Schalldrücke deutlich (50-70dB). Einzig die BGR weist Schalldrücke aus, die in den Bereich kommen, bei dem Wirkungen denkbar wären.

2. Falsches Bild von hohen Infraschalldrücken bei Windenergieanlagen

Die BGR-Studie wird aufgrund der postulierten hohen Schalldrücke und der daraus abgeleiteten hohen Reichweiten extrem oft auf Webseiten der Windkraftgegner zitiert. Hier ein paar aktuelle Beispiele:

Abweichende und deutlich niedrigere Messwerte anderer Institutionen sind auf den Webseiten der Windkraftgegner natürlich nicht zu finden. Im Ergebnis wird ein sehr einseitiges Bild von extrem hohen Infraschalldrücken von Windenergieanlagen transportiert, was nicht der Wirklichkeit entspricht. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Trefferliste bei Google, die für das Stichwort "Infraschall" fast ausschließlich Treffer mit Zusammenhang zur Windenergie auflistet.

3. Vertrauen der Bevölkerung in Landesumweltämter wird untergraben

Die hohe Diskrepanz der dB-Werte zwischen den Messungen der Umweltämter und denen der BGR blieb natürlich auch bei Windkraftgegnern nicht unentdeckt. Windkraftgegner sehen in der Diskrepanz einen Beleg, dass die Umweltämter systematisch mit falschen Daten oder ungeeigneten Messmethoden arbeiten, um die Infraschallbelastung durch Windenergieanlagen herunterzuspielen. Ich verweise z.B. auf die Diskussion bei windwahn.com (vgl. Windwahn.com und Infraschall). Ich habe die BGR mehrfach auf diese Diskussion hingewiesen, ohne eine Antwort zu erhalten. Zusätzlich verstärkt wurde dieses Misstrauen durch den öffentlichen Vorwurf eines BGR-Mitarbeiters an die Landesumweltämter bezüglich des "Wegmittelns von Infraschallspitzen" in einem Fernsehbericht (vgl. ZDF planet e: Infraschall - Unerhörter Lärm).

4. Eine Bundesanstalt ist zu besonderer Sorgfalt verpflichtet

Die BGR ist eine Bundesanstalt und keine reine Forschungseinrichtung. Bei der Veröffentlichung von ungesicherten spekulativen Erkenntnissen sind Forschungseinrichtungen  grundsätzlich freier. Spekulative Ergebnisse und Interpretationen haben ihren festen Platz im Erkenntnisprozess der Wissenschaft. Dabei kann es auch dazu kommen, dass Fehler publiziert werden. Im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess werden diese Fehler aufgegriffen, diskutiert und korrigiert.

Veröffentlichungen der BGR haben jedoch einen "behördlichen" Charakter. Damit hat eine Veröffentlichung der BGR in den Augen der Bevölkerung ein sehr großes Gewicht. Spätestens wenn wie im vorliegenden Fall eine klare wissenschaftliche Evidenz besteht, dass veröffentlichte Zahlen nicht richtig sind, sollte eine Bundesanstalt eine Richtigstellung vornehmen.

5. Überhöhte Abstandsforderungen zu Infraschallmessstationen

In ihren Publikationen thematisiert die BGR mehrmals sehr hohe Abstandsforderungen (5-50km) von Windkraftanlagen zu Infraschallmessstationen der BGR, die im globalen Messnetz zur Überwachung des Verbots oberirdischer Atomwaffentests betrieben werden. Diese Abstandsforderungen sind mit den falschen Schalldruckwerten begründet. Nach meiner Einschätzung sollten 1-2km Abstand vollständig genügen, damit das Infraschallsignal der Windenergieanlagen die Detektion transienter Signale nicht stört (vgl. Physik des Infraschalls eines Windrad).

Offiziell Eingang in die Gesetzgebung haben diese Forderungen noch nicht gefunden. Jedoch ist im bayerischen Windenergie-Erlass (BayWEE, 2016, Punkt 7.3.4) ein sehr großer Abstand von 15km zur seismischen Station GERES festgelegt, wo sich ortsgleich auch die deutsche Infraschallmessstation I26DE befindet. Ob bei der Festlegung der Abstandskreise  Infraschall eine Rolle gespielt hat, ist nicht klar.

Fazit

In den 2000er Jahren publizierte die BGR ein populärwissenschaftliches Buch (Berner & Streif: „Klimafakten“, 2001). Mit diesem Buch versuchte die BGR, die wärmende Treibhauswirkung von CO2 zu widerlegen. Stefan Rahmstorf hat diesem Buch auf Scilogs einen Artikel gewidmet. Nach Erkenntnissen des Rechercheverbunds von NDR, WDR und SZ aus dem Jahr 2016 gab es damals finanzielle Verflechtungen der BGR mit wirtschaftlichen Interessengruppen.

Auch die Publikationen der BGR zu Infraschalldrücken von Windenergieanlagen und ihr Umgang mit wissenschaftlicher Kritik werfen Fragen auf. Nach der Messung 2004 erfolgte zunächst eine Veröffentlichung im Eigenverlag. 2016 wird das Projekt für beendet erklärt. In der ausgewiesenen Projektzeit von 12 Jahren wurde außer der sowieso laufenden Routine-Infraschallmessung keine einzige weitere Messung an Windenergieanlagen durchgeführt. Ebenfalls 2016 werden sehr große Mindestabstände zu Seismikstationen der BGR in den neuen BayWEE aufgenommen. Im gleichen Jahr werden die alten Ergebnisse von 2004 in Sound and Vibrations veröffentlicht. Trotz der Vielzahl von Messergebnissen anderer Wissenschaftler sah die BGR keine Notwendigkeit, in dieser Veröffentlichung ihre Messungen und Modellrechnungen mit anderen Ergebnissen zu vergleichen. Gerade der Vergleich mit unabhängigen Messergebnissen ist die wichtigste Methode, die Allgemeingültigkeit und Reproduzierbarkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen sicher zu stellen.

Es sollte im Interesse der BGR liegen, ihrem wissenschaftlichen Anspruch gerecht zu werden und den offensichtlichen Fehler bei den Infraschallpegeln an Windenergieanlagen endlich zu korrigieren. Angebracht wäre in meinen Augen eine öffentliche Entschuldigung bei den Umweltämtern für die falsche Anschuldigung des "Wegmittelns von Infraschallspitzen" durch einen BGR-Mitarbeiter im ZDF-Beitrag planet e. Ebenso sollte das ZDF eine Richtigstellung unter der alten URL des inzwischen gelöschten planet e.-Films publizieren. Ohne die hohen Schalldruckpegel der BGR fällt die komplette Argumentation des Films zur Gefährdung durch Infraschall von Windenergieanlagen wie ein Kartenhaus in sich zusammen (vgl. ZDF planet e: Infraschall - Unerhörter Lärm).

 

Dr. Stefan Holzheu, letzte Änderung 30.11.2020 20.00 Uhr.

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Änderungsverlauf:

30.11.2020 20:00 Uhr
- Veröffentlichung der ersten Version

 

 

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