Viele Jahre haben Windkraftgebner die falschen, viel zu hohen Schalldruckpegel der BGR genutzt, um Stimmung gegen die Windenergie zu machen (vgl. z.B. Windwahn.com und Infraschall, Faktencheck: Vernunftkraft über Infraschall...). Seit über einem Jahr versuchte ich, der BGR klar zu machen, dass diese Pegel unmöglich richtig sein können (vgl. Diskussionsseite BGR-Studie). Noch im Januar 2021 hat die BGR diesen Rechenfehler vehement abgestritten und als Kronzeugin für die Richtigkeit ihrer Berechnungen die Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB) genannt (vgl. Antwort der BGR auf Fragenkatalog über BMWi-Bürgerdialog). Nachfragen von Wissenschaftlern haben die PTB dazu veranlasst, eigene Berechnungen zu den BGR-Daten öffentlich zu stellen. Diese Berechnungen widersprechen den BGR-Berechnungen eindeutig (vgl. Auswertung der BGR-Daten durch die PTB). Dadurch wurde der Druck auf die BGR jetzt so groß, dass die BGR am 12.04.2021 korrigierte Berechnungen in einem sog. "Fact-Sheet" publiziert hat. Eine Analyse:
Fast schon Unterhaltungswert hat die Art und Weise, wie die BGR die Korrektur des Rechenfehlers begründet. Die BGR verweist auf das eingereichte Discussionpaper von Baumgart et al. sowie auf die PTB-Berechnungen. Doch diese zwei Berechnungen sind nicht - wie die BGR behauptet - "neuere wissenschaftlichen Untersuchungen" sondern nur die Auswertung der Original-BGR-Daten mit den korrekten Methoden der Schallphysik. Diese Rechenvorschriften sind natürlich nicht neu sondern gehören schon viele Jahrzehnte zum physikalischen Grundwissen. Dass die BGR meine Seite nicht zitiert, sei ihr verziehen ;-).
Noch in der Antwort der BGR auf Fragenkatalog über BMWi-Bürgerdialog schreibt die BGR
Es wurde für die Auswertung der BGR-Messkampagne im Jahr 2004 eine Leistung von 200 kW verwendet, da dies der maximalen Leistung der betrachteten WEA entspricht.
Inzwischen hat man das Datenblatt der Vestas V47 nach 17 Jahren doch gelesen und festgestellt, dass die maximale Leistung einer Vestas V47 660kW beträgt. Um die 200kW irgendwie rechtferigen zu können, präsentiert die BGR eine neue Grafik, die erklärt, dass die durchschnittliche Leistung des Windrads während der Messung 200kW betrug.
Die Vestas V47 hat zwei Betriebsmodi: Einen mit 20rmp und kleinem Generator und einen mit 26rpm und großem Generator. Diese beiden Betriebsmodi hat die BGR bei der Auswertung der Infraschallsignale einzeln betrachtet. Daher wäre es sinnvoll jetzt zumindest zwei Durchschnittswerte anzugeben. Noch besser wäre es, den Signalgehalt der 2.BPH als Funktion der Windradleistung darzustellen, so wie ich dies für das Harsdorfer und die Sessenreuther Windenergieanlagen durchgeführt habe (vgl. Messkampagne Windrad Harsdorf 05/2020, Messungen am Windpark Sessenreuth).
Die BGR argumentiert, dass es sich bei dem Rechenfehler "lediglich um einen Offset handelt, der die Hauptaussage der BGR nicht tangiere". Betrachtet man jedoch die neu erstellten Grafiken sieht man Unterschiede, die weit über einen reinen Offset hinausgehen.
In der alten Grafik sind mehrere Hintergrundgeräusch-Linien eingetragen. Das ist sinnvoll, weil das Hintergrundgeräusch zunimmt, je stärker der Wind weht. In der neuen Grafik gibt es nur noch ein Hintergrundniveau und dieses ist aus völlig unklaren Gründen nicht konstant. Selbst wenn man den schwächsten Hintergrund (u<3 m/s) in der alten Grafik nimmt und den Abstand zur grünen Linie bei 0,1km bestimmt, kommt man auf maximal 45dB. In der neuen Grafik beträgt der Abstand ca. 55dB. Bei "nur einem Offset" hätte sich der gleiche Abstand ergeben müssen!
Auch bei den Modellberechnungen gibt es Abweichungen, die über einen reinen Offset hinausgehen. So fehlt inzwischen wohl der Übergang von Nah- auf Fernfeld. Trotzdem zeichnet die BGR die Linien bis 50m. Wo dieser Punkt bei einem 16x1800kW Windpark liegt, bleibt das Geheimnis der BGR. Vergleicht man exemplarisch einen Punkt im Fernbereich vergrößert sich auch hier der Abstand zum Hintergrund: 2km, 16*1800 kW: Alt 85-50=35dB - Neu -20-(-62)=42dB
Grund für die Verschiebung könnte sein, dass die BGR jetzt nicht mehr mit dem Signalgehalt der 2.BPH (Intergral) sondern mit dem Maximum in der PSD argumentiert. Zu diesem Punkt mehr weiter unten.
Völlig unklar bleibt, wie die BGR zu diesen Hintergrundwerten kommt. Betrachtet man die Täler in der PSD (nächste Grafik) werden laut BGR für den 0 rpm-Fall in der betrachteten Frequenz eher -50dB re 1 Pa²/Hz errechnet. Bei stärkerem Wind liegt das Niveau bei -40dB re 1 Pa²/Hz. Das Hintergrundnivieau, das die BGR ausweist liegt dagegen unter -60dB re 1 Pa²/Hz.
In J.R. Bowman, G.E. Baker, M. Bahavar, Ambient infrasound noise, J. Geophys. Res. 32 (2005) L09803, http://dx.doi.org/10.1029/2005GL022486. wird der Median für das Hintergrundrauschen an der I26DE der BGR für den relevanten Frequenzbereich (1-3Hz) mit ca. -50db re 1 Pa²/Hz angegeben. Das Rauschniveau das die BGR in Ihren neuen Grafiken ansetzt, scheint somit deutlich niedriger zu liegen. Das wirkt schon fast wie ein Taschenspielertrick. Man nimmt ein sehr niedriges Rauschniveau, das nur bei Windstille auftritt, vergleicht dieses mit den stärksten BPH-Signalen der Windräder, die natürlich nur bei starkem Wind vorhanden sind und leitet daraus eine Störung der Messung ab.
Zumindest passt jetzt die Normierung der PSD. Baumgart et al. hatten die PSD mit der Normierung 20µPa berechnet. Ceranna nutzt 1Pa. Der Offset zwischen den beiden Normierungen beträgt 20*log10( 0,00002 ) = 94dB. Aber Achtung! Dieser Faktor hat nur Gültigkeit für den Rauschhintergrund. Die Peakhöhe variiert mit der Fensterlänge die PSD (vgl. PSD vs. PS). Schon aus diesem Grund ist die Peakhöhe, mit der die BGR jetzt argumentiert, ein denkbar schlechtes Kriterium um die Störung zu quantifizieren.
Das komplette Papier der BGR wirkt wenig überzeugend. Physikalisch völlig unsinning ist in meinen Augen die Betrachtung der Peakhöhe in der PSD als Maß für die Störung bei der Detektion transienter Signale. Entscheidend ist nicht die Peakhöhe sondern der Gesamtsignalgehalt im Vergleich zum Signalgehalt des Hintergrundrauschens. Ich habe diesen Punkt auf einer Unterseite näher ausgeführt (vgl. Signal vs. Hintergrund).
Auch wird die Peakhöhe bei modernen WEA mit variabler Drehzahl bei weitem nicht so hoch ausfallen, wie die BGR annimmt. Details zu diesen Überlegungen finden sich auf der Seite "Warum Terzpegel sinnvoll sind".
Völlig unberücksichtigt bleibt die Möglichkeit, die Störung des Signals durch das zyklische Windenergieanlagen-Signal mathematisch herauszurechnen.
Auch von der Interpretation der nächsten Grafik rückt die BGR nicht ab:
Alle hoizontalen Linien werden als Signaturen von Windenergieanlagen interpretiert. Ich halte dies Behauptung für nicht haltbar. Hintergründe habe ich in einem Twitter-Tweet und auf der Seite "BGR: Jeder Peak eine Windenergieanlage?" zusammengefasst.
Es ist natürlich schön, dass die BGR ihren Rechenfehler nach 16 Jahren endlich erkennt. Damit entfällt für Windwahn, Vernunftkraft und Co. eine ganz wichtige Argumentationsgrundlage. Die wissenschaftliche Qualität der neuen Ausführungen der BGR sind jedoch erschreckend. Insbesondere das weitere Festhalten an den 15km Schutzabstand, der auf Vorgabe der BGR sogar in den BayWEE geschrieben wurden, ist nicht nachvollziehbar. Neue Messungen der BGR an WEA sehe ich angesichts dieser wissenschaftlichen Mängel sehr kritisch. Aber zumindest sollen diese Messungen von der PTB begleitet und alle Daten und Auswertungen öffentlich zugänglich gemacht werden.
08.08.2024 Artikel in VGBE Energy: Infraschall von Windenergieanlagen – Viel Lärm um nichts |